Von Ralf Dannemeyer
Vorsitzender des DVNLP
Welcher Zusammenhang besteht zwischen menschlicher Potenzialentfaltung und den Synapsen im Gehirn? Gerhard Roths Forschung und Publizistik wird nicht nur den Neurobiologen fehlen, sondern auch den nach wissenschaftlicher Redlichkeit strebenden NLP-Anwendern. Gedanken zum Tod des Hirnforschers.
Dass NLP und universitäre Wissenschaft einander inzwischen öfter mal zugewandt begegnen, gehört auch zu den Verdiensten von Gerhard Roth. Auf einem DVNLP-Kongress und in seinen Büchern traf er starke Aussagen, die der Reputation des NLP dienen und mein Herz höherschlagen lassen. Warum die Landkarte nicht die Landschaft ist, warum Ankern und Reframing funktionieren, warum Lösungsfokussierung besser wirkt als Problemorientierung – die Begründungen für diese NLP-Fundamente und noch viel mehr lassen sich aus den Ergebnissen der Hirnforschung und aus den Büchern Gerhard Roths herauslesen.
Gerhard Roth sprach oder schrieb nicht über NLP. Sinn der Neurowissenschaften ist nicht und war nie, die Wirkung von NLP nachzuweisen. Hier eine Verbindung herzustellen, wäre vermessen. Was die Pioniere der Neurobiologie wollen, ist die Funktion und Leistungsfähigkeit des Gehirns zu untersuchen, zum Beispiel um damit neue Lösungen für Krankheiten und Schwächen zu finden.
Gerhard Roth erweiterte diesen Rahmen mit seiner Vision einer neurowissenschaftlich angeleiteten Interdisziplinarität. Er traf zum Beispiel Ableitungen für die Bedeutung neurowissenschaftlicher Forschung für Psychotherapie und Coaching*: Dass also die Neurobiologie immer mehr erklären kann, wie genau das Gehirn die bemerkenswerte Individualität hervorbringt, die für das menschliche Verhalten so typisch ist. Und wie seine Wissenschaft das Bewusstsein erklärt und damit die geistigen Vorgänge, durch die wir wahrnehmen, handeln, lernen und uns erinnern. Damit sind etliche Wirksamkeits-Voraussetzungen, die das NLP bislang als richtig angenommen hat, heute wissenschaftlich bewiesen.
Eine Aussage Gerhard Roths beeindruckte mich besonders. Für uns NLP’ler bekannt, gebe ich sie mit einem Augenzwinkern gern an die sich wissenschaftlich gebenden therapierenden, trainierenden und coachenden Kolleginnen und Kollegen weiter:
Keine (!) psychotherapeutische Methode kann seine behaupteten Wirkungsmechanismen neurowissenschaftlich wirklich beweisen. Einzig die von Roth so bezeichnete „therapeutische Allianz“ trage nachweisbar wesentlich zum erfolgreichen Therapie- oder Coachingverlauf bei. Diese führe zu einer Senkung des Cortisolspiegels bei gleichzeitiger Erhöhung des Serotoninspiegels und damit zu vermehrter Ausschüttung endogener Opioide. Ergebnis: eine deutliche Beruhigung und Angstreduzierung bei dem oder der Empfangenden von Therapie, Coaching oder Training.
In NLP-gesprochen: Ohne Rapport keine Wirkung! Rapport („therapeutische Allianz“) öffnet den Lösungsraum und aktiviert die Ressourcen des Menschen. Der Klient wird NLP-professionell aus dem Stuck State über den Separator State in den Ressource State geführt. Eine Intervention besteht also – und zwar in dieser Reihenfolge - aus dem Rapport (dessen Wirkung bewiesen ist) und dem angemessenen Format. Ob es für die betreffende Person das richtige Format war, zeigt allein die Wirkung.
Gerhard Roth, in Philosophie und Zoologie promoviert, war Direktor des Instituts für Hirnforschung an der Universität Bremen, Gründungsrektor des Hanse-Wissenschaftskollegs in Delmenhorst und Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes. Zuletzt leitete er das Roth Institut, das zu New Leadership, Teamentwicklung und Coaching auf neurowissenschaftlicher Basis forscht und weiterbildet.
„In sehr großer Trauer nehmen wir Abschied von Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth“, heißt es auf der Seite des Instituts. „Wir werden ihn als herausragenden Wissenschaftler, hochgeschätzten Kollegen und Freund in bester Erinnerung halten. Seine Theorien & Modelle werden wir in Ehren weiter anwenden und vermitteln.“
Der Trauer schließen wir und an. Wir verneigen uns.
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*z.B. In seinen Werken „Coaching, Beratung und Gehirn“ (2016) und „Coaching und Beratung in der Praxis“ (2019) beschreibt er die neurobiologischen Grundlagen wirksamer Veränderungsarbeit (zusammen mit Alica Ryba, Klett-Cotta)