The Wholeness Work. Ein Interview zur Methode und zur deutschen Buchausgabe mit Dr. Connirae Andreas.
Von Dr. Ludger Brüning.
Zur Arbeit von Connirae Andreas
Connirae Andreas zählt seit über 40 Jahren zu den bekanntesten und innovativsten Trainern und Trainerinnen auf dem Gebiet der Persönlichkeitsentwicklung. Vielen ist sie durch ihre Arbeiten zum NLP, zur Hypnotherapie und ihre eigenen Ansätze bekannt. Noch während ihres Studiums der klinischen Psychologie kam sie 1977 zusammen mit ihrem Partner, dem Gestalttherapeuten John O. Stevens, der sich nach ihrer Heirat Steve Andreas nannte, mit dem entstehenden NLP in Berührung. Basierend auf Workshops von Richard Bandler und John Grinder veröffentlichten Connirae und Steve die ersten anschaulichen und praktisch nachvollziehbaren Bücher zu der neuen Methode und trugen damit ganz erheblich zur Bekanntheit des neuen Ansatzes bei. „Frogs into Princes“, das erste dieser Bücher, erschien 1979,[i] ein Jahr bevor die erste zusammenhängende theoretische Fundierung von NLP herauskam.[ii] Eine halbe Millionen Exemplare des Workshop-Buches sollten verkauft werden. Andere, wie Trance-Formations[iii] und Re-Framing,[iv] folgten. Connirae und Steve blieben Verleger, Veranstalter, Autoren, Therapeuten, Trainer und kritische Begleiter von NLP. Gemeinsam und unabhängig voneinander entwickelten sie neue Formate, aber auch gänzlich neue Ansätze. Sie zählten zu den Vordenkern und Pionieren der Timeline-Arbeit,[v] schufen neue Methoden zur Ausrichtung von Wahrnehmungspositionen (Aligning Perceptual Positions)[vi] und zur Trauer-Arbeit (Grief Relief Process)[vii]und entwickelten die Eye Movement Integration (EMI),[viii] die einen komplexeren Ansatz als EMDR bietet. Connirae entwickelte auch Verfahren zur natürlichen gewichtsbewussten Ernährung (Naturally Slender Eating Strategy)[ix] und zur Stärkung der Selbstheilungskräfte des Körpers (Engaging your Body’s Ability to Heal).[x] Ähnlich wie ihr 2018 verstorbener Mann blieb sie weiter an therapeutischen Fragen interessiert und zählt zum Beirat des Ausbildungsteams des Research & Recognition Projects, das u.a. wirksame Methoden zur Behandlung von PTBS bei Veteranen in den USA und Großbritannien untersucht.
Die bekannteste Arbeit von Connirae ist vermutlich die Core Transformation, ein strukturierter tiefgreifender Veränderungsprozess, den sie entwickelte, um das Gefühl tiefen Wohlbefindens und allumfänglichen Okay-Seins wiederzuerlangen, das sie nach einem Workshop bei Milton H. Erickson 1979 empfunden hatte.[xi] Ausgehend von einer eigenen sehr schweren Erkrankung begab sie sich erneut auf die Suche. Anknüpfend an ihre eigenen Erfahrungen und aufbauend auf ihre Arbeit mit anderen entwickelte sie schließlich die Wholeness-Methode, die sie 2017 auf den Future Tools des DVNLP vorstellte. Ein Einführungsbuch erschien 2018 zunächst in Englisch[xii] und jetzt (2020) auch in deutscher Übersetzung.[xiii]
Dr. Ludger Brüning sprach mit Dr. Connirae Andreas über die Hintergründe und Entwicklung ihrer neuen Methode.

Interview
Ludger Brüning (LB): Du warst noch Studentin in einem Doktorandenprogramm in Klinischer Psychologie als Du von einem neuen Ansatz erfuhrst, der noch auf den Weg war, sich zu etablieren und seinen Namen zu erhalten. Was veranlasste Dich, mit NLP zu beginnen – und im Feld zu bleiben?
Connirae Andreas (CA): 1977 war es aufregend, etwas über NLP zu lernen. Der neue Ansatz bedeutete einen klaren Paradigmenwechsel für das Gebiet der Therapie und persönliches Wachstum. Traditionelle Gesprächstherapie basierte auf Inhalt und hatte keine verlässlichen Verfahren, um Veränderungen zu bewirken. Im Gegensatz dazu konzentriert sich NLP darauf, die Struktur unserer Erfahrung zu entdecken. Wenn sich zum Beispiel Menschen wertlos fühlen – wie machen Sie das? Durch welche Reihenfolge innerer Erfahrungen gehen sie in dem Augenblick, um zu dem Gefühl der Wertlosigkeit zu gelangen? Es könnte sein, dass sie das Bild eines Elternteils sehen, das ihnen gegenüber die Stirn runzelt, und es dann sagen hören: „Immer vermasselst du alles!“ Und dann fühlen sie sich schlecht.
NLP bietet präzise und spezifische Wege, um Veränderungen herbeizuführen. Diese können wir sofort überprüfen, um herauszufinden, ob die Veränderung wirksam wurde oder nicht. Und es geht eher um sensorische Erfahrungen als um Konzepte. Der Anwender wird darin geschult, non-verbale Hinweise, die für das Verständnis der Erfahrung des Klienten hilfreich sind, zu beachten.
Ich schätze diese Dinge weiterhin.
LB: Du nennst Deine neue Methode „The Wholeness Work“ – Ganzheitsarbeit. Was meint „Wholeness“/Ganzheit in diesem Kontext? Ist es eine physische Wahrnehmung, ein kognitives Verständnis, eine mentale Form des Seins oder eine spirituelle Ebene oder eine Mischung von all dem?
CA: The Wholeness Work – die Ganzheitsarbeit entstand aus dem Modellieren einer wichtigen östlichen spirituellen Lehre, dass Erleuchtung oder „Awakening“/“Erwachen“ geschieht, wenn wir das Ego loslassen. Wenn wir spirituelle Lehren lesen, klingt „Erwachen“ nach etwas sehr Geheimnisvollem. Die Ganzheitsarbeit macht das zu etwas, zu dem jeder Zugang haben kann, indem er einfache, aber präzise und spezifische Schritte befolgt.
Ich habe den Namen „Ganzheitsarbeit“ gewählt, weil ich einen Namen wollte, der alltäglich klingt, und „Ganzheit“ passt. Wir werden buchstäblich „ganzer“, wenn wir diese Arbeit machen. Wir beginnen diese Arbeit mit dem Finden und Auflösen der grundlegendsten inneren Aufspaltungen, die jeder von uns hat – die unbewusste Struktur des Egos. Dann geht die Arbeit darüber hinaus, um andere innere Aufspaltungen zu finden, die im menschlichen Bewusstsein universell sind. Die Ergebnisse sind sowohl tiefgreifend als auch alltäglich. Die Arbeit verändert uns auf allen von Dir beschriebenen Ebenen. Manche berichten von einer Veränderung, wie sich der Körper anfühlt, und sie beschreiben ein Aufklaren des Geistes (clearing of the mind). Häufig sagen sie, „die Luft scheint jetzt buchstäblich klarer zu sein.“
LB: Für manche Menschen können Fragen der Spiritualität sehr hilfreich sein, andere könnten eher zurückhaltend sein. Kann man die Methode auch ohne spirituelle Neugier oder Absicht zum Coaching oder Selbst-Coaching nutzen?
CA: Ja, absolut. Bei der Ganzheitsarbeit geht es um tatsächliche Erfahrungen, nicht um Glaubenssysteme. Man braucht keine spirituellen Überzeugungen oder Interessen, um davon zu profitieren. Es ist wie bei Streichhölzern. Jeder kann ein Streichholz benutzen, um ein Feuer zu entzünden. Der Vorgang kann wie Magie erscheinen, wenn man ihn nicht versteht, aber wir müssen nicht an Magie glauben, um ein Streichholz zu benutzen.
LB: Im NLP gibt es vorhersehbare Ergebnisse, wenn man die formalen Schritte befolgt. Wie vorhersehbar sind die Ergebnisse in der Ganzheitsarbeit?
CA: Die Ergebnisse in Wholeness Work sind sehr vorhersehbar – aber sie können paradoxerweise Menschen überraschen. Das liegt daran, dass die Ganzheitsarbeit über das Beheben von Problemen hinaus geht und die Art und Weise, wie wir uns selbst, andere und die Welt um uns herum erleben, grundlegend verändert.
Unsere Klienten drücken das oft am besten aus, jeder auf seine Art. Einer der Klienten meines Sohnes sagte vor kurzem: „Ich bin erstaunt von dem Ansatz, den ihre Mutter geschaffen hat. Er geht weg vom Paradigma des Erreichens und Tuns und Strebens und geht zu einer Mühelosigkeit und Leichtigkeit, wo alles okay ist.“ Nur um das klarzustellen: Wholeness Work unterstützt uns darin, produktiv zu sein – vielleicht sogar produktiver als zuvor, und ohne den Stress, der zuvor unsere Energie aufzehrte. Das Wunderbare ist, dass wir am Ende etwas haben, das mehr als das ist, was wir uns wünschten. Menschen entdecken eine natürliche Klarheit darüber, was sie im Leben wollen, die aus ihrem ganzen Sein (whole being) kommt, nicht nur aus ihrem Bewusstsein.
Das vorhersehbarste Ergebnis der Ganzheitsarbeit ist, dass das Leben in vielerlei Hinsicht besser läuft. Sie hat Auswirkungen in allen Bereichen (across-the-board). Die Menschen empfinden ein Gefühl der Leichtigkeit, sich durchs Leben zu bewegen. Sie schlafen besser. Beziehungen verbessern sich, weil wir emotional weniger reaktiv sind. Wir haben eine größere Fähigkeit zu Empathie und Mitleid, finden kreative Lösungen leichter, ebenso einen ausgeprägten Sinn für Humor.
LB: Ist Wholeness Work noch eine Form von NLP oder eröffnet es ein komplett neues Feld?
CA: Ich denke, beides ist zutreffend. The Wholeness Work ist NLP, weil es präzise ist – es gibt uns spezifische Schritte, die zu einem verlässlichen Ergebnis führen, basiert auf der Struktur von Erfahrungen, nicht Inhalten, beschäftigt sich mit Erfahrungen, nicht Konzepten.
Umgekehrt kann die Ganzheitsarbeit auch als ein neues Gebiet betrachtet werden. Die Methode führt uns auf eine andere Stufe von persönlicher Transformation. Ich habe einen Artikel dazu geschrieben[xiv] und gehe in den Fortgeschrittenenkursen mehr darauf ein. Die Ziele und Arbeitsweisen sind ziemlich verschieden in diesem Stadium von Bewusstsein/Transformation.
Vollständig verstanden ist die Ganzheitsarbeit nicht nur eine Methode, sondern ein ganzes „Feld“. Sie ist eine Sammlung von Formaten, die auf den gleichen grundlegenden Leitgedanken basieren, die einzigartig für Wholeness Work sind. Wenn man all diese Leitgedanken und Formate versteht, kann Wholeness Work eine komplette Arbeitsweise sein.
Es ist immer noch wichtig in klassischen NLP-Methoden und/oder anderen Methoden geschult zu sein, wenn man auf vorhergehenden Veränderungsebenen arbeitet. Idealerweise hat ein Coach die Fähigkeiten, einem Klienten durch alle Stadien der Veränderung hindurch zu helfen.
LB: Robert Dilts hat drei „Generationen“ von NLP (Geist, Körper, systemisch) unterschieden. Nun sprechen einige von einer vierten NLP-Generation und versuchen Spiritualität durch das Modellieren von Schamanen, Heilern usw. ins NLP zu integrieren. Wie siehst Du Deinen Ansatz in diesem Feld?
CA: Zunächst möchte ich freundlich ein paar Bedenken dazu äußern, im Hinblick auf NLP in Begriffen von Generationen zu denken. „Generationen“ kann implizieren, dass alles was später kommt, besser ist. Ein iPhone der vierten Generation wird zum Beispiel auf fortgeschrittenerer Technologie als ein iPhone der dritten Generation basieren. Im Hinblick auf NLP können wir aber nicht annehmen, dass das, was eine dritte oder vierte Generation genannt wird, eine Verbesserung ist. Manchmal ist es nur ein verwässertes NLP. Lucas Derks hat das in einem früheren Interview betont[xv] und ich stimme dem zu.
Im NLP gab es ein großes Interesse daran, Schamanen, Heiler, spirituelle Lehrer mit NLP-Tools zu modellieren. Es ist ein würdiges Ziel. Doch fallen die meisten Versuche in eine von zwei Fallen: Wenn wir versuchen spirituelle Erfahrungen wie das „Erwachen“ (Awakening) mit existierenden NLP-Modellen zu modellieren, reduzieren wir die Erfahrung auf etwas, das in die Kategorien passt, die wir bereits haben. Die meisten spirituellen Modellings erfolgten auf diese Weise. Eine echte „spirituelle“ Erfahrung passt aber nicht in klassische NLP-Kategorien und man kann nicht durch klassische NLP-Methoden dorthin gelangen. Eine wahre spirituelle Erfahrung involviert, dass man Filter und Glaubenssätze gehen lässt und „Wirklichkeit, wie sie ist“ erlebt. Wenn wir klassische NLP-Methoden wie Ankern oder Submodalitäten oder Reframing benutzen, werden wir Filter hinzufügen oder verändern. Das kann hilfreich sein, aber es ist nicht das gleiche.
Eine andere „Falle“ besteht darin, einfach eine existierende NLP-Methode zu nehmen, einige wolkige spirituell klingende Wörter und Glaubenssätze hinzuzufügen und es „spirituelles Modellieren“ zu nennen. Das beeinträchtigt die Präzision und sensorische Erfahrung, die das Kennzeichen von NLP ist.
Wholeness Work fällt in keine dieser Fallen. Es bietet ein neues Modell für eine wichtige spirituelle Lehre (key spiritual teaching). Und die Methode selbst ist präzise, spezifisch und erfahrungsbasiert – die Kennzeichen des NLP.
LB: Siehst Du die Wohleness-Methode noch in der Tradition von NLP oder siehst Du sie mehr in der Tradition von Trance-Arbeit und Milton H. Erickson oder als eine einzigartige Form von imaginativ-meditativem Coaching und Selbst-Coaching?
CA: Es ist alles von dem. Sie wurde stark inspiriert durch meine persönliche Erfahrung, die ich 1979 bei Milton Erickson machte. Das war eine tiefgehende Erfahrung, die mein Leben veränderte.
Als ich Ericksons Leben und Werk studierte, bemerkte ich das seine Innovationen und erstaunliche Wirksamkeit aus den Schwierigkeiten des Lebens (life difficulties) heraus entstanden, denen er sich gegenübersah. Er musste extreme körperliche Herausforderungen bewältigen. Als Teenager erkrankte er an Kinderlähmung und man nahm an, dass er sterben würde. Gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebte er, war aber gelähmt. Die Suche nach einem Weg, wieder Laufen zu können, und im späteren Leben die Suche nach Wegen, mit andauernden Schmerzen umgehen zu können, führten Erickson zu Entdeckungen, die seine Arbeit mit anderen prägten.
Ähnlich entdeckte ich die Ganzheitsarbeit aufgrund einer persönlichen Krise. Ich machte eine überwältigende körperliche Erfahrung, die ich nicht verstand. Am Ende der Genesung von einer Lungenentzündung begann ich etwas zu empfinden, was sich anfühlte, als liefen ständig Stromstöße meine Wirbelsäule hoch. Das war so heftig, dass ich kaum etwas machen konnte. Da ich dachte, ich würde sterben, war ich bereit, alles fahren zu lassen, was ich wusste; und ich wurde offen für alles, was auch immer mir helfen könnte. In diesem Zustand hatte ich die Offenheit, etwas zu bemerken, das in der Struktur meines eigenen Erlebens wirklich neu war. Ohne das Ausmaß an Verzweiflung, die ich empfand, wäre ich dazu nicht in der Lage gewesen. Das wars, was mich alle meine alten Modelle, die ich hatte, einschließlich der NLP-Modelle, aufgeben und etwas bemerken ließ, das sich auf einer grundlegenderen Erlebensebene (level of experience) befand. Ich wendete keine NLP-Modelle auf etwas an. Ich war nur offen gegenüber dem, was sonst noch vorhanden/wahr sein könnte.
LB: Einige denken vielleicht, Wholeness Work ist nur eine andere Form von Achtsamkeitstraining oder Focusing. Was sind die Hauptunterschiede?
CA: Das Hauptziel von Achtsamkeit ist, Menschen zu helfen, im gegenwärtigen Augenblick zu sein. Achtsamkeit bietet dazu aber keinen leichten Weg. In jedem beliebigen Augenblick machen die meisten von uns eine Mischung (combination) von Dingen: sie reagieren auf das, was gerade geschieht, denken über die Vergangenheit nach und/oder antizipieren die Zukunft.
Wenn wir jemandem nur sagen „Mach das nicht. Sei nur im gegenwärtigen Augenblick“ schafft das einen inneren Konflikt. Im Gegensatz dazu, zeigt uns Wholeness Work einen präzisen und einfachen Weg, tatsächlich in dem Moment präsent zu sein. Ein Schlüssel hierzu ist, dass die Ganzheitsarbeit uns zeigt, wie wir den Alltagssinn (everyday sense) des „Ego“ wahrnehmen und einladen sich aufzulösen. Die Schritte sind im Buch beschrieben – es ist so angelegt, dass jeder es mache kann.
Wenn man die komplette Methode, die im Buch dargestellt ist, ausprobiert, wird man einige andere Unterschiede zur Achtsamkeit bemerken. Aufgrund dieser Unterschiede kann Wholeness Work das liefern, was Achtsamkeit zu tun versucht, auf eine Art, die leichter, verlässlicher und vollständiger ist.
Beim Focusing werden Menschen angeleitet, Empfindungen wahrzunehmen. Wholeness Work schließt das mit ein, geht aber viel weiter. Die Ganzheitsarbeit öffnet uns eine zusätzliche innere Welt. Wir entdecken tatsächlich die inneren „Strukturen der Psyche,“ die die Körperempfindungen schaffen, die Stress verursachen können.
LB: Kann der Zustand der Wholeness/Ganzheit auch über verschiedene andere Methoden erreicht werden – wie etwa durch Reframing und Veränderung von Glaubenssätzen, durch Re-Imprinting, durch EMI oder durch Trance-Arbeit?
CA: Jede dieser Methoden kann sehr hilfreich sein. Wholeness Work führt uns aber auf eine andere Stufe der Veränderung, die wir nicht systematisch mit den genannten Methoden erreichen können.
LB: Viele Jahre bevor Du die Ganzheitsarbeit entwickelt hast, hast Du die Core Transformation entwickelt, in einem Versuch, das tiefgreifende Gefühl von Okay-Sein wiederherzustellen, das Du einst in einem Seminar bei Milton H. Erickson erlebt hast. Ist Wholeness Work eine Form von Core Tansformation 2.0 oder was sind die Hauptunterschiede zwischen den beiden Methoden?
CA: Mein Erlebnis bei Milton Erickson hat beide Arbeitsweisen beeinflusst, aber die Methoden sind sehr verschieden. Sie bauen nicht aufeinander auf.
Core Transformation benutzt unsere Lebensprobleme als einen Zugang zu einer tiefgreifenden Erfahrung wie Frieden, Präsenz, Okay-Sein oder selbst Eins-Sein. Diese Kernzustände des Seins (Core States of being) verändern im Prozess auf natürliche Weise das Lebensproblem, mit dem wir angefangen haben.
Die Ganzheitsarbeit arbeitet in die gleiche Richtung wie die Core Tranformation, ist aber völlig anders. Sie ist einfacher und direkter. Sie gibt uns die Möglichkeit, den Alltagssinn des „Ego“ zu finden und aufzulösen, plus innere Bewältigungsmechanismen und vieles mehr zu transformieren.
LB: Ist es für die Anwendung von Wholeness Work hilfreich oder notwendig den Prozess der Core Transformation zu kennen? Auf welche Art könnte oder sollte man beide Methoden kombinieren?
CA: Beide Methoden sind in sich eigenständig und bedürfen der jeweils anderen nicht, um zu wirken. Ich halte jedoch beide für grundlegende Methoden, die man gut kennen sollte, wenn man mit tieferen Bewusstseinsebenen arbeitet. Einiges kann Core Transformation besser. Für anderes ist Wholeness Work besser. Für Klienten, die die best-mögliche Lebensqualität anstreben, empfehle ich beide. Einer unserer Trainer sagt immer: „Ich denke, beide Methoden für die Arbeit mit meinen Klienten zur Verfügung zu haben, ist mehr als doppelt so gut, als nur die eine oder andere zu haben.“
LB: Was ist die Hauptzielgruppe Deines Buchs zur Wholeness-Methode? Liefert es eine theoretische Einführung, einen Back-up für die, die schon ein Seminar zur Ganzheitsarbeit besucht haben, oder kann es Lesern helfen, die noch keine Vorerfahrungen in Achtsamkeitstrainings, Meditation oder Spiritualität haben?
CA: Ich habe das Buch so geschrieben, dass es für jedermann zugänglich ist. Es führt den Leser durch alles, was er oder sie wissen muss, um die Ganzheitsarbeit für sich zu erleben. Ich habe mich gefreut, dass mir selbst Leute, die keine vorhergehende Erfahrung mit NLP oder irgendeiner Form von Veränderungsarbeit oder Meditation haben, Emails schrieben, wie sehr das Buch ihr Leben verändert hat. Das Buch ist auch eine große Ressource für Therapeuten und Coaches. Es zeigt Coaches, wie sie Klienten durch den Prozess führen, und enthält Material für das ich den Trainings keine Zeit habe.
LB: Wenn du die Wholeness-Methode zur täglichen Meditationsroutine nutzen möchtest: Was unterscheidet diesen Ansatz von anderen Meditationsformen? Erfordert er Vorerfahrungen in Meditation oder verändert er die Meditationspraxis, die jemand schon hat?
CA: Viele Menschen, die Schwierigkeiten mit üblichen Meditationen hatten oder sie nie versuchten, fanden Wholeness Work zu ihrer Überraschung machbar und sogar einfach. Viele, die andere Meditationspraktiken seit Jahrzehnten nutzen, haben berichtet, dass die Ganzheitsarbeit ihnen hilft, einen meditativen Zustand schneller und leichter zu erreichen. Etwas das einzigartig ist, ist das jedes Mal, wenn wir eine Wholeness Work-Meditation machen, wir unsere Einschränkungen transformieren. Sie ist viel mehr als ein erholsamer Zustand. – Wir können uns buchstäblich mit ihm weiterentwickeln.
Ich benutze die Ganzheitsarbeit seit einigen Jahren als tägliche Lebenspraxis. Auf diese Weise erzielt man den größten Nutzen. Sie hat in allen Bereichen meines Lebens einen positiven Unterschied gemacht und ich nutze sie weiterhin, weil ich immer noch weitere Nutzen bemerke.
LB: In Deinem Buch betonst Du die Sanftheit der Methode. Was bedeutet das in diesem Kontext?
CA: Die Ganzheitsarbeit gibt uns einen Weg, all unsere Erfahrungen einzubeziehen und anzunehmen. Wir müssen nichts außer Kraft setzen, überwinden oder beiseiteschieben. Und wir erzwingen nichts. Das wird als Güte (kindness) oder Sanftheit wahrgenommen.
Bei vielen Methoden können Menschen die unterschwellige Notwendigkeit verspüren, den Ablauf mitzumachen, um ein guter Klient zu sein. Eine solche Notwendigkeit besteht bei der Ganzheitsarbeit nicht, weil sie wirklich auf alles eingehen kann, was auch immer wir tatsächlich in jedem Moment erleben, auf all unsere Gedanken und Empfindungen.
LB: Du berichtest davon, wie man Wholeness Work auf eine große Palette unterschiedlicher Erfahrungen, Besorgnisse und Themen anwenden kann, und selbst als eine tägliche Meditationsroutine oder als einen Weg zum Finden und Tiefen von Spiritualität. In welcher Hinsicht ist sie Deiner Erfahrung nach für Anfänger am hilfreichsten?
CA: Ich denke, die meisten Menschen werden finden, dass es am besten ist, damit anzufangen, die Ganzheitsarbeit auf alltägliche „wunde Punkte“ (hot buttons) oder Stress anzuwenden. Wenn du feststellst, dass du auf etwas emotional reagierst oder dich verkrampfst, sind das großartige Bereiche, um damit anzufangen. Das Buch zeigt dir Schritt für Schritt, wie das geht.
LB: Was waren einige der überraschendsten Ergebnisse, von denen Du gehört hast?
CA: Bevor ich über überraschende Ergebnisse spreche, möchte ich etwas zu den typischen Resultaten sagen. Die meisten Menschen finden, dass Wholeness Work zu einem verlässlichen „Freund“ wird, der allen Herausforderungen begegnen kann, die das Leben uns in den Weg legen mag. Jede Art von Stress wird zu einem Tor zu tiefer Entspannung und Wohlbefinden.
Einige der überraschendsten Ergebnisse waren Zeitpunkte, an denen Menschen etwas erlebten, das sich anhört wie spirituelle Berichte vom Erwachen (awakening). Sie erleben Wellen von etwas Unbeschreiblichem, das durch ihr System strömt, oder starke Vibrationen entlang der Wirbelsäule oder ein Losbrechen von Wärme von ihrer Herzgegend aus usw.
Ich glaube, es ist nicht sinnvoll, das als ein Ziel zu haben. Bei der Ganzheitsarbeit erlebt jeder von uns die Veränderungen in der Art, wie sie für uns und unser Geist-Körper-System passen. Für einige von uns mag das dramatisch sein, und für viele von uns ist es sanfter und allmählicher.
Es ist auch wichtig zu erkennen, dass Methoden in einem Augenblick dramatische Erlebnisse erzeugen können, ohne tatsächlich irgendwas zu ändern. Es ist wie bei einer Achterbahnfahrt, aber dann steigst Du aus und bist noch immer dieselbe Person. Was zählt ist, was bleibt, nachdem das System zur Ruhe gekommen ist. Mit Wholeness Work verändern wir systematisch die Struktur unserer Psyche, so dass die Veränderungen, die geschehen, andauern.
LB: 2018 hast Du ein Einführungsbuch in Englisch veröffentlicht, das jetzt (2020) auch auf Deutsch erhältlich ist. Gibt es andere fortgeschrittenere Formen und Anwendungsbereiche, an denen Du gerade arbeitest?
CA: Ja, die Ganzheitsarbeit umfasst viel mehr als ich in ein Buch packen konnte. Das Wholeness-Buch ist aber der beste Ort, um anzufangen. Es zeigt dir die ersten zwei Wholeness-Methoden auf eine leicht verständliche Weise. Dann gibt es, wenn es dir gefällt, die gute Nachricht, dass es noch viel mehr gibt. Da die Ganzheitsarbeit zu diesem Zeitpunkt fast ein eigenes Gebiet ist, gibt es viele weitere Methoden und Grundsätze (principles), die ich in den fortgeschrittenen Wholeness-Kursen unterrichte. Wir untersuchen auch Anwendungen auf viele spezifische Gebiet einschließlich der Gesundheit. In Deutschland gibt es auch eine Gruppe, die seit einigen Jahren eng mit mir zusammengearbeitet hat und nun Kurse und Unterstützung (mentorship) anbietet.
LB: Danke für das Interview.
Das Interview gibt es auch als PDF auf: www.dvnlp.de/was-ist-nlp/nlp-fachartikel
Connirae Andreas
Auf dem Weg zur Ganzheit
272 Seiten
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Fußnoten
[i] Das Buch erschien 1981 in der deutschen Übersetzung von Thies Stahl mit dem Titel Neue Wege der Kurzzeit-Therapie: Neurolinguistische Programme. Frogs into Princes bei Junfermann, wo es inzwischen in der 14. Auflage vorliegt.
[ii] Neuro-Linguistic Programming, Vol. I. The Structure of Subjective Experience, verfasst von Robert Dilts, Richard Bandler, John Grinder und Judith DeLozier wurde 1980 in den USA bei Meta Publications veröffentlicht.
[iii] Trance-Formations. Neuro-Linguistic Programming and the Strcture of Hypnosis erschien 1981 in den USA und 1984 unter dem Titel Therapie in Trance bei Klett-Cotta.
[iv] ReFraming. Neuro-Linguistic Programming and the Transformation of Meaning erschien 1983 in den USA und 2010 unter dem Titel Reframing. Neurolinguistisches Programmieren und die Transformation von Bedeutung bei Junfermann in neuer Übersetzung.
[v] Die strukturelle Timeline-Arbeit war die erste Form der Timeline-Arbeit, die entwickelt wurde. Steve und Connirae entwickelten und unterrichteten sie seit 1984. Sie nutzt Submodalitäten, um die Struktur von Timelines zu verändern. Dies ermöglicht Klienten, eine neue Beziehung zu all ihren Erfahrungen in der Zeit zu finden. 1988 publizierten Wyatt Woodsmall und Tad James ihr Konzept in Time Line Therapy and the Basis of Personality, wodurch die Timeline-Arbeit populär wurde. Sie verwendeten einen anderen Ansatz, der bestehende Timelines nutzt, um Erinnerungen an einzelne Ereignisse ähnlich wie in Richard Bandlers Decision Destroyer-Format zu verändern. Laut Connirae nahm Wyatt im Juni 1985 an einem frühen Konferenzvortrag von Steve zur Timeline-Arbeit teil. Connirae und Steve veröffentlichenten 1991 im VAK international NLP Newsletter einen Artikel zur Ideen- und Entwicklungsgeschichte der Timeline-Arbeit und ihrer unterschiedlichen Ansätze (Andreas, Steve and Connirae: A Brief History of Timelines. http://www.steveandreas.com/Articles/timelines.html (20.06.2020)). Sie publizierten ihre eigene Form der Timeline-Arbeit in Change your Mind – and keep the Change (1987) und in Heart of the Mind (1989), wo sich auch eine Beschreibung des Decision Destroyer-Formats findet. Beide Bücher wurden ins Deutsche übersetzt:
- Gewußt wie. Arbeit mit Submodalitäten und weitere NLP-Interventionen nach Maß. Paderborn: Junfermann (1988)
- Mit Herz und Verstand. NLP für alle Fälle. Paderborn: Junfermann (1992)
[vi] Aligning Perceptual Positions wurde 1989 von Connirae Andreas entwickelt. Das Format eröffnet einen präzisen Weg, unsere Fähigkeit zu maximieren, jede Wahrnehmungsposition zu nutzen, und wurde Teil des dreitägigen Core Transformation Trainings. 1991 veröffentlichten Connirae und ihre Schwester Tamara einen Artikel über das Format in Anchor Point. (Aligning Perceptual Positions. A New Distinction in NLP http://www.steveandreas.com/Articles/comaligning.html (22.06.2020)).
[vii] Der Grief Relief process wurde Mitte bis Ende der 1980er Jahre von Connirae und Steve Andreas entwickelt und in Heart of the Mind (Mit Herz und Verstand) veröffentlicht. 2002 schrieben sie einen Artikel über den Prozess (Resolving Grief http://www.steveandreas.com/Articles/grief02.html (22.06.2020)).
[viii] Eye Movement Integration (EMI) wurde ungefähr zur gleichen Zeit wie Francine Shapiros Methode von Steve und Connirae Andreas Ende der 1980er Jahre entwickelt. Danie Beaulieu lernte EMI durch eine Demo kennen, die Steve 1993 in Orlando (Florida) auf der Conference on Ericksonian Approaches to Brief Therapy gab. Sie erforschte die Methode, teilweise in Zusammenarbeit mit Steve und Connirae, weiter und etablierte EMI als Therapieform. (Beaulieu, Danie: Eye Movement Integration Therapy. An introduction to the treatment of traumatic and distressing memories, page [2]: „Origins and modifications“ http://www.academieimpact.com/pdf/EMI_article.pdf (22.06.2020).
[ix] Die Strategie wird in Kapitel 12 von Heart of the Mind beschrieben.
[x] Der Prozess wird in Kapitel 20 von Heart of the Mind beschrieben.
[xi] Der Core Transformation-Prozess wurde 1989 von Connirae Andreas entwickelt. Später verfasste sie eine detaillierte Beschreibung über seine Entwicklung und deren Hintergründe: http://www.coretransformation.org/the-core-transformation-story-how-the-process-came-to-be (25.06.2020). Es ist eine Methode der sanften und tiefgreifenden Transformation durch einfache, strukturierte Schritte, die Zustände von Frieden, Einssein und Präsenz erschließen. Erste große Trainings fanden 1990 statt. Basierend auf den Erfahrungen, die sie in ihren Workshops machten, veröffentlichten Connirae und ihre Schwester Tamara 1994 Core Transformation. Reaching the wellspring within. Eine Neuausgabe erschien bei Real People Press 2015 (ISBN-13: 9780911226331). Eine erste deutsche Ausgabe erschien bei Junfermann (Paderborn) 1995 (Der Weg zur inneren Quelle. Core-Transformation in der Praxis. Neue Dimensionen des NLP. ISBN-13: 978-3873871403).
[xii] Andreas, Connirae: Coming to Wholeness. How to Awaken and Live with Ease. Boulder (Colorado/USA): Real People Press, 2018. ISBN-13: 9780911226515.
[xiii] Andreas, Connirae: Auf dem Weg zur Ganzheit. Mit der Wholeness-Methode zur persönlichen Transformation. Paderborn: Junfermann 2020. ISBN: 978-3749500727.- Eine Rezension erscheint in Praxis Kommunikation 04/2020.
[xiv] https://www.thewholenesswork.org/stages-of-transformation-accessing-deeper-levels-of-change (25.06.2020).
[xv] Vgl. Brüning, Ludger: Die mentale Ordnung der Welt. Die Erforschung des mentalen Raums und erste Diagnose-Tools. Interview mit Lucas Derks.- In: Praxis Kommunikation 02/2020, S. 38.
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