Vielfalt und Standards – suchen, ertragen und genießen. Bericht vom NLP Leadership Summit in Spanien
Vom 10.-12. Januar 2020 traf sich zum dritten Mal der NLP Leadership Summit zu einem mehrtätigen Austausch in Alicante (Spanien). Insgesamt war es das zehnte Treffen. Der Summit ist eng verbunden mit der Rückkehr des dritten NLP-Mitbegründers, Frank Pucelik, ins Rampenlicht der westlichen Welt, nachdem er seit den 1990er Jahren vornehmlich in Russland und der Ukraine tätig war. Seit langem wurde beklagt, dass Richard Bandler und John Grinder, wenn überhaupt, nur noch wenig Anteil an der Weiterentwicklung von NLP nehmen, das Feld sich zunehmend aufspaltet und keine Sprecher hat. Vor diesem Hintergrund riefen Michael Hall und Frank Pucelik 2012 auf der Londoner NLP Konferenz der ANLP den NLP Leadership Summit ins Leben. Seitdem trifft er sich regelmäßig am Rande der jährlichen ANLP-Konferenz in London.
Ähnliche Versuche der Vergangenheit, wie etwa die Visionary Leadership Conference (1997) waren bisher nach kurzer Zeit im Sande verlaufen. Um dieses zu vermeiden, legt das aktuelle Format, das 2012 mit 27 Teilnehmern begann, großen Wert auf das gemeinsame Kennenlernen der Teilnehmer und auch für mehr Zeitraum zum Austausch, so dass 2016 und 2018 bereits zwei mehrtägige Zusammenkünfte stattfanden. Deren Ergebnisse wurden unter dem Titel „Powered by NLP“ veröffentlicht und können kostenfrei von der Homepage der Veranstaltung heruntergeladen werden.

Der Leadership Summit betrachtet sich nicht als einen Verband oder eine Meta-Organisation, sondern als einen Zusammenschluss von langjährigen NLP-Aktiven, die Verantwortung für Zukunft von Methode und Community übernehmen wollen. Er macht keine Vorschriften, schafft aber Orientierungsmöglichkeiten, intern und extern. Der Begriff „Leader“ ist dabei weitgefasst und meint alle die mindestens 15 Jahre im NLP als Trainer, Forscher, Autor, Herausgeber oder anderweitig aktiv sind. Ziel ist es den Gemeinschaftssinn und die Zusammenarbeit zu fördern, um so letztlich auch zu einer höheren Qualität und größeren Glaubwürdigkeit von NLP beizutragen. Heute hat der NLP Leadership Summit weltweit mehr als 150 Mitglieder von denen 78 von allen Seiten der Welt, von Australien, Brasilien, den USA, Kanada, Israel, West-Europa oder auch Russland nach Alicante anreisten. Insgesamt waren 26 Länder vertreten. Da das Hauptziel Austausch und Vernetzung sind, nennt der Leadership Summit seine Zusammenkünfte nicht „Konferenzen“, sondern „Konversationen“.
So wechselten sich in Alicante auch am ersten Tag Plenumgespräche mit Kleingruppendiskussionen ab. Durch den Tag führten Michael Hall (USA) und Heidi Heron (Australien), die auch die Gesamtorganisation übernommen hatten. In Arbeitsgruppen wurde kontrovers über Ethik, Standards, Forschung, ein NLP der vierten Generation, Marketing und „Gesundes Denken“ diskutiert.

Kann auch eine siebentägige Practitioner-Ausbildung Sinn machen oder müssen es 18 oder mehr Tage sein? Diese Diskussion will man den Verbänden überlassen. Doch soll eine vom Leadership Summit unabhängige Dach-Organisation gegründet werden, die weltweit für gemeinsame Standards und die Qualität der Ausbildung eintritt. Ähnlich soll die Forschung zur Wirksamkeit von NLP-Methoden weiter gefördert werden. Berichtet wurde insbesondere von den weiteren Forschungserfolgen des US-amerikanischen Research & Recognition Projects, die mittlerweile auch durch Gehirnscans dokumentiert sind. Bei diesem Projekt werden amerikanische Kriegsveteranen, die unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden erfolgreich mit RTM (Reconsolidation of Traumatic Memories), einer Methode die eng an die „Rückspul-Methode“ (Fast Phobia Cure) anknüpft, behandelt.
Jaap Hollander aus den Niederlanden zeigte sich hier allerdings skeptisch: „Ich glaube, dass die Zeit für eine gemeinsame NLP-Dach-Organisation vorbei ist und dass das ähnlich für eine wissenschaftliche Anerkennung von NLP gilt. Die Crux ist: wenn man NLP in den Vorgehensbeschreibungen weglässt, weiß keiner, dass es NLP ist, das da wirkt. Wenn man aber NLP reinschreibt, erhält man nicht die Möglichkeit, entsprechende Studien durchzuführen.“
Colette Normandeau aus dem französisch-sprachigen Teil Kanadas berichtete dagegen, wie sie die verschiedenen Einzelinstitute in Quebec zu einem gemeinsamen Verband zusammenführen konnte: „Die Hauptaufgabe am Anfang bestand darin, gemeinsamen Respekt voreinander aufzubauen, dass wir gemeinsame Vorstellungen teilen und uns nicht gegenseitig im Marketing kleinreden.“ Sie leitete auch die Diskussionsrunde zum NLP der vierten Generation, die bei den Teilnehmern ein nachhaltiges Interesse hervorrief und über drei Runden den ganzen Tag über fortgesetzt wurde. Ging es beim NLP der ersten Generation um Verhaltensoptimierung, bei der zweiten Generation um somatisch-emotionale Fragen und bei der dritten Generation um systemische Ansätze, so soll es bei der vierten Generation um Spiritualität in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen gehen. Angeregt wurde das Thema durch Robert Dilts. Modellings fanden bereits bei Heilern und Schamanen auf Bali statt. Erste Ergebnisse sollen zusammen mit Forschungen zur Kollektiven Intelligenz noch dieses Jahr erscheinen. Kontrovers wurden hier die themenspezifischen metaphorischen Begrifflichkeiten und die Zweckmäßigkeit unterschiedlicher Vorgehensweisen diskutiert: Was ist Spiritualität überhaupt? Was lässt sich vielleicht auch anders beschreiben? Wie zielführend sind in diesem Kontext welche Modellingansätze? Und nicht zuletzt: Wie steht es mit der Übertragbarkeit der Ergebnisse in wiederholbare Formate?
Die Arbeitsgruppe „Gesundes Denken“ (Healthy Thinking) tauschte sich darüber aus, was unter einem gesunden Denken verstanden werden kann, was es gefährdet und wie auf Erkrankungen und Schmerzen reagiert werden kann. Diskutiert wurden die negativen Wirkungen abwertender oder einengender Metaphern, die Menschen in ihren Selbst-Beschreibungen benutzen, Möglichkeiten des Reframings (das Symptom als Freund, als Bote, als spirituelles Zeichen etc.), Möglichkeiten der Trance-Arbeit und auch einer stoisch-abgeklärten Grundhaltung.

Der zweite Tag bot Raum für Diskussionen im Open Space-Format. Rund 30 Themen wurden von den Teilnehmern vorgeschlagen und nach Interesse ausgewählt. Danach konnten jeweils verschiedene Themen gleichzeitig diskutiert werden, wobei ein fließender Wechsel zwischen den Diskussionsgruppen möglich war. Ueli Frischknecht und Manuel Pereira (Schweiz) führten durch das Format. Die Bandbreite der Themen zeigte die große Interessenspannweite der Teilnehmenden, die Themen vom Vortag fortführten und um weitere ergänzten. Sie reichten von konzeptionellen Fragen, wie den Voraussetzungen der geplanten Standard-Organisation, der Zulassung jüngerer Interessenten am Leadership Summit oder der Integration von Vertretern von Randgruppen, über die Frage weiterer Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten des NLP bis hin zu Fragen eines Engagements in der Klimakrise, für das Tim Hallbom (USA) engagiert eintrat.
In methodischer Hinsicht warb Bert Feustel für kritische Sichtungen und Überarbeitungen einzelner Formate. Zugleich lud er zu einer kritischen Reflexion der eigenen Rollenvorbilder ein. Am Beispiel von Ankern, Strategiearbeit, Augenzugangshinweisen und Submodalitäten wies er auf methodische Aspekte hin, die aus heutiger Sicht überholt oder unpräzise sind. Eine gesonderte Diskussionsgruppe ging unter Leitung von Catalin Zaharia (Rumänien) verkürzten Aussagen zu den bevorzugten Repräsentationssystemen nach. Tim Hallbom und Judith Lowe riefen in Erinnerung, dass alles im NLP an den Kontext gebunden ist. Judith verwies auf eine Äußerung von John Grinder: „Was er am meisten am NLP bereut, ist, dass die Leute die Repräsentationssysteme als Identitätsaussage verstehen. („Ich bin visuell.“) Darum geht es aber nicht. Es kann nur sein, dass jemand in einem bestimmten Kontext ein Repräsentationssystem bevorzugt.“
Andere Gruppen gingen der Frage nach, ob und wie schamanische und mediale Qualitäten (Qualitäten eines Mediums) mit NLP verknüpft werden können oder welche Möglichkeiten emotionSync gegenüber EMDR oder EMI bietet. Dieser von Christian Hanisch entwickelte Ansatz versucht durch eine energiebetonte Vorgehensweise die negative Spannung belastender Synapsen aufzulösen.
Am dritten Tag standen Fragen zukünftiger Verfahrensweisen im Vordergrund. Robert Dilts regte an, bei der Festlegung von Standards nicht mit einem inhaltlichen Mindestkatalog zu beginnen, sondern zunächst danach zu fragen, was jemand können soll, der etwas gelernt hat, und wie für unterschiedliche Lerntypen die Schritte dorthin sind. In Zukunft soll eine Bibliothek des NLP Wissens einschließlich Video-Clips und Darstellungen von Praxiserfahrungen entstehen. Als erstes sollen hierzu Trainingserfahrungen zum Meta-Modell gesammelt und als Buch veröffentlicht werden.
Robert Dilts unterstrich in einem abschließenden Vortrag die Bedeutung der Beziehungsebene für die weitere Zusammenarbeit. Deren Pflege mache den Unterschied zu ähnlichen Vorhaben der Vergangenheit aus und sei die Basis für die anvisierten Zukunftsprojekte. Das nächste Mehrtagestreffen soll 2022 stattfinden, eventuell im kalifornischen Santa Cruz. Bis dahin soll nicht nur eine weitere Tagungsdokumentation vorliegen, sondern es sollen in der Zwischenzeit bereits weitere Ergebnisse einzelner Arbeitsgruppen vorliegen. Das Global Standard Committee, dass eine schrittweise Angleichung unterschiedlicher Ausbildungsstandards zu einen gemeinsamen Qualitätsstandard diskutiert, und weitere Gruppen setzten bereits kurz nach dem Treffen ihren Austausch fort. Der dritte Band von „Powered by NLP“ als Sammlung von Berichten, Impressionen und Diskussionsbeiträgen zum aktuellen Leadership Summit soll Mai/Juni 2020 erscheinen.
Dr. Ludger Brüning
Mail: ludger.bruening@yahoo.de
Eine gekürzte Form des Beitrags erschien in der aktuellen Ausgabe von Praxis Kommunikation (02/2020) mit Interviews, die der Autor mit Lucas Derks zum Sozialen Panorama und zum Mentalen Raum sowie mit Jeffrey Zeig, Stephen Gilligan und Connirae Andreas zum 40. Todestag von Milton H. Erickson führte. In der nächsten Ausgabe wird dort auch ein Interview des Autors mit Robert Dilts, dem vielseitigsten Weiterentwickler von NLP und unserem Gasttrainer auf den nächsten Future Tools, erscheinen.
Fotos: Dr. Luder Brüning
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