Wir sitzen alle im Unterseeboot

Was wir wissen können und was nicht – Drei Positionen einmal anders gedacht

Ich bin kein Philosoph und auch kein Hirnforscher. Ich bin Lehrtrainerin für Neurolinguistisches Programmieren (NLP) und komme in meinem Unterricht immer wieder in Berührung mit Neurophysiologie und der biologischen (konstruktivistischen) Erkenntnistheorie, deren Grundlage der Aufbau und das Funktionieren unseres Erkenntnisorgans, des Gehirns, ist. Im NLP gibt es ein Verfahren, das einen Denkschritt nahelegt, dessen Resultate einige von den in der Geschichte der Erkenntnistheorie auftretenden Paradoxien auflöst, wenn er auch in der Erkenntnis dessen, was jenseits der mit Sinnen erfassbaren Wirklichkeit liegt, nicht über die Einsicht hinausführt, dass wir darüber nichts wissen können.

Dieser Denkschritt besteht darin, in der Erkenntnis des Erkennens nicht nur den Standpunkt des Erkennenden und den Standpunkt des wissenschaftlichen Beobachters des Erkenntnisprozesses einzunehmen, sondern auch den Standpunkt eines zweiten wissenschaftlichen Beobachters, der den wissenschaftlichen Beobachter des Erkenntnisprozesses bei seiner Arbeit beobachtet.

  1. Was der wissenschaftliche Beobachter beobachtet

Beginnen möchte ich mit dem, was der wissenschaftliche Beobachter beim Beobachten des Erkenntnisprozesses erkennt. Ich stelle mir vor, dass er einen Probanden, einen Menschen, den er beim Erkennen beobachtet, vor sich hat, wie dieser ein Ding, nehmen wir eine Vase, beobachtet.

1.1. Gegenständliche Elemente des Erkenntnisprozesses

Der wissenschaftliche Beobachter sieht die Vase. Diese ist von seiner Warte aus das Objekt des Erkennens, das Erkannte, aber das Erkannte, wie er, der Beobachter, es erkennt. Und er sieht das Subjekt, den Probanden, das ist der Erkennende, wie er, der Beobachter, ihn wahrnimmt. Der wissenschaftliche Beobachter nimmt auch das Auge des Probanden wahr, und er nimmt es so wahr, wie eben Beobachter es wahrnehmen, nämlich von außen. Aber er könnte es auch so sehen, wie ein Anatom es beobachten und beschreiben würde. Das Gehirn des Probanden sieht der wissenschaftliche Beobachter zwar gar nicht. Aber auch hier kann er vom Wissen des Anatomen ausgehen, der Gehirne von Menschen untersucht und beschreibt.

1.2. Abläufe des Erkenntnisprozesses

Die Prozesse, in denen sich die Vase dem Probanden darbietet, und die Abläufe, die im Auge und im Gehirn des Probanden vor sich gehen, kann der wissenschaftliche Beobachter nicht sehen. Aber er kann sich auch hier auf Wissenschaftler verlassen. Physiker haben untersucht und beschrieben, dass Lichtstrahlen von einer Lichtquelle (hier der Vase) durch eine Pupille in ein Auge (das des Probanden) eintreten, dort durch die Linse und den Glaskörper gebrochen werden und auf die Zellen der Netzhaut treffen. Neurophysiologen können berichten, welche chemischen Prozesse in den Zellen der Netzhaut ablaufen und elektrische Impulse auslösen, die in den Sehnerv eingehen und von Neuron zu Neuron zum visuellen

Kortex weitergeleitet werden. Das Neuronenfeuer, das sich im Gehirn abspielt, wird inzwischen seit Jahrzehnten beobachtet und hat Wissen über Abläufe und Formen der neuronalen Zusammenarbeit zu Tage gefördert.

1.3. Der Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität und dem Erleben des Probanden

Aber hier ist Schluss mit dem, was ein wissenschaftlicher Beobachter beobachten kann. Hier ist auch Schluss mit dem Wissen, das andere Wissenschaftler durch Betrachtung, Experiment und Analyse herausgefunden haben, worauf der wissenschaftliche Beobachter zurückgreifen könnte. Es gibt kein Wissen über den Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität und dem Erleben des Probanden, seinem Erleben des Bildes von der Vase. Wir wissen nur, dass es irgendeinen Zusammenhang geben muss zwischen neuronalen Aktivitäten und dem Erleben einer Welt, weil bei der Ausreifung des Gehirns Erfahrungen nötig sind und Verletzungen des Gehirns zu Ausfällen im Erleben führen.

1.4. Das Erleben des Probanden

Auch über das Bild, das der Proband von der Vase erhält, erwirbt der wissenschaftliche Beobachter durch sein Beobachten kein Wissen. Er weiß nur, dass es kein Abbild der Vase sein kann, weil die anderen Wissenschaftler bei der Untersuchung des Erkenntnisapparates des Erkennenden keine Vorrichtung zur Abbildung gefunden haben.

Allerdings kann er Informationen über das Erleben des Erkennenden gewinnen. Der Erkennende selbst kann mit Worten beschreiben, was er sieht. Er kann dem wissenschaftlichen Beobachter von Form und Farbe der Vase berichten und auch mitteilen, dass er das Bild, das er irgendwie erhalten hat, als dort „draußen“ erlebt, ebenso wie er die anderen scheinbaren Repräsentationen der Außenwelt, Laute, Gefühle, Geruchs- und Geschmackseindrücke, als „von außen kommend“ oder als „etwas da draußen angehörend“ erlebt. NLPler nennen diese Erlebensweisen – Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken – nach den Versalien der lateinischen Begriffe – VAKOG. Und der Proband kann auch mitteilen, dass er neben den Informationen, die er als draußen, oder von außen kommend oder dem da draußen angehörend erlebt, auch Erinnerungen und Vorstellungen in allen Sinnesmodalitäten hat, die er aber als „innen“ erlebt. Auch das, was wir Denken nennen, erfährt der Proband als einen Prozess, den er „innen“ erlebt, der – wie NLPler häufig analysieren – unter Zuhilfenahme von Bildern, Sprachlauten, Gefühlen etc. abläuft. Weil der Proband diese Prozesse als an unterschiedlichen Orten ablaufend erfährt, ist es sinnvoll, sein Erleben zu unterscheiden in das, was er der Außenwelt angehörig erlebt als VAKOG 1 und das, was er als intern vor sich gehend wahrnimmt als Innenwelt VAKOG 2.

1.5. Philosophische Begriffe der Beobachterebene

Hier auf der Beobachterebene angesiedelt können wir die Begriffe von Subjekt und Objekt unterscheiden. Es ist der Beobachter, der das erkennende Subjekt, den Probanden, beginnend mit dessen Auge, inklusive der in dessen Gehirn vermuteten VAKOG-Prozesse unterscheidet. Und es ist auch der Beobachter, der von diesem erkennenden Subjekt das erkannte Objekt unterscheidet. Allerdings sind für den Beobachter beide, sowohl das erkennende Subjekt, wie auch das erkannte Objekt Objekte seines (des wissenschaftlichen Beobachters) Erkennens.

Objektiv erfassbar sind für den wissenschaftlichen Beobachter aber nur die Vase und der Proband als physisches Objekt mit Auge und Gehirn.

Das Erleben des Probanden VAKOG1 und VAKOG 2, seine Außenwelt und seine Innenwelt, sind vom Beobachter nicht objektiv erfassbar. Wissen darüber erlangt der Beobachter nur durch sprachlich kodierte Mitteilungen des als Objekt wahrgenommenen Subjekts. Rätselhaft bleibt für den wissenschaftlichen Beobachter auch der Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität und VAKOG 1 und VAKOG 2, dem menschlichen Erleben von Außenwelt, und den der menschlichen Innenwelt angehörenden Erinnerungen, Vorstellungen und Denkvorgängen.

Obwohl er also wesentliche Daten seiner Studie den Worten des Probanden entnehmen muss, scheut der wissenschaftliche Beobachter nicht davor zurück, auf dieser Ebene, der Beobachterebene, Wahrheit zu definieren. Wahr soll ein Wissen dann sein, wenn es mit der äußeren Welt übereinstimmt. Eine Formulierung des Philosophen Descartes, fordert die Übereinstimmung von res cogitans und res extensa. Wenn wir auf die einzelnen Stationen schauen, die dem wissenschaftlichen Beobachter des Erkenntnisprozesses vor Augen liegen, kann das nur die Übereinstimmung zwischen VAKOG 1 (= res cogitans) des Probanden, von dem der wissenschaftliche Beobachter nur über Worte Kenntnis hat, und dem erkannten Objekt, der Vase, wie der wissenschaftliche Beobachter sie sieht, sein. Auch die andere Formulierung des Thomas von Aquin beschwört die Übereinstimmung dessen, was wir im Kopf haben, mit der Wirklichkeit, nämlich die „adäquatio rei“ (= Welt, res extensa) et intellectu (= VAKOG1, res cogitans). Wenn man es genau nimmt, wird hier als Wahrheitskriterium die Übereinstimmung von zwei Wahrnehmungen gefordert, die der Vase, wie der Beobachter sie sieht, mit der Vase, wie der Proband sie mit Worten beschreibt. Und, um sie zu vergleichen, müssen beide, der Proband wie auch der wissenschaftliche Beobachter, Worte benutzen.

Wichtig festzuhalten scheint mir auch noch, dass der wissenschaftliche Beobachter kein Ich ausmachen kann. Er nimmt nur visuell wahrnehmbare Objekte und auditiv wahrnehmbare Worte wahr. Auch Neurologen haben im Gehirn keine als „Ich“ auffassbare zentrale Instanz ausgemacht.

  1. Was der Proband erlebt

Wenn ich in dieser wissenschaftlichen Studie, in der ein wissenschaftlicher Beobachter den Erkenntnisprozess eines Erkennenden studiert, die Position des Probanden, also des Erkennenden einnehme, muss ich zunächst festhalten, was ich als Proband alles nicht erlebe.

2.1. Was der Proband nicht erlebt

Ich erlebe (sehe) nicht die Vase, weil sie sich nicht als das, was sie ist, meiner Wahrnehmung darbietet. Als Proband nehme ich auch das Licht nicht wahr, das nach den Worten des wissenschaftlichen Beobachters von der Vase ausgehen und auf die Netzhaut in meinen Augen treffen soll. Ich sehe auch meine Augen nicht, obwohl diese doch, wie man sagt, alles sehen sollen. Auch höre ich das Neuronengewitter in meinem Gehirn nicht, obwohl das ein Geschehen ist, das nach dem Urteil des wissenschaftlichen Beobachters in meinem Kopf vor sich geht. Ich erfahre auch nichts über den Weg, auf dem das Neuronengewitter in mein Erleben von VAKOG 1 und VAKOG 2 umgewandelt wird.

2.2. Was der Proband erlebt

2.2.1. Außenwelt (VAKOG 1)

Das einzige, was ich als Proband erlebe, ist das Bild der Außenwelt, das heißt hier in dieser Studie: das Bild der Vase. Das ist es, was ich sehe. Auch wenn der wissenschaftliche Beobachter mir einen Kaffee bringt und mit mir redet, höre ich den Klang seiner Worte, fühle die Empfindung, die die heiße Tasse in meinen Händen auslöst, rieche den Duft und schmecke den Geschmack, den dieser Kaffee in mir auslöst. Ich nehme wahr, was ich als meine Umwelt erfahre und zwar mit allen Sinnen, VAKOG 1.

2.2.1.1. intern hervorgebracht, als außen erlebt

Und obwohl der wissenschaftliche Beobachter mir gesagt hat, dass ich das, was ich als meine Umwelt wahrnehme, nicht abbilden kann, sondern irgendwie selber hervorbringe, nehme ich meine Wahrnehmungen nicht als in mir, sondern als außerhalb meiner Person existierend wahr. Ich sehe das Muster und die Farben, die meine Augen mir anzeigen, als Muster und Farben im Pullover des Professors draußen, ich höre seine Worte, die mein Hörvermögen mir signalisiert, als von ihm, von außen kommend, ich fühle die Glätte und Hitze, die meine Finger mich spüren lassen, als heiße Oberfläche der Tasse, ich rieche den Duft, den meine Nase mir meldet, als den Duft des Kaffees und schmecke den Geschmack, den ich auf der Zunge bekomme, nicht als meinen Geschmack, sondern als den Geschmack des Kaffees.

2.2.1.2. als Prozess erlebt

Und ich erlebe das alles als ein Geschehen, als einen Prozess. Diese Vase dort scheint zwar etwas zu sein, das dinglichen Charakter hat, im Gegensatz zu etwas, was vor sich geht. Aber mein Sehen ist in ständiger Veränderung begriffen. Das heißt, mein Sehen ist ein Vorgang. Desgleichen mein Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken. Dass diese Vase dinglichen Charakter trägt, liegt nur daran, dass ich ihr diesen zuschreibe. Auch wenn ich davon ausginge, dass sie jenseits meiner Wahrnehmung existierte, weiß ich, dass sie irgendwann entstanden sein muss und auch irgendwann vergehen wird.

2.2.1.3. als außerhalb des eigenen Einflusses erlebt

Und noch etwas muss ich festhalten, was wichtig zu sein scheint: Ich erlebe alles, was ich als außen wahrnehme, auch als etwas, das außerhalb meines Einflusses vor sich geht. Auch wenn der wissenschaftliche Beobachter mir erklärt, ich bildete diese von mir wahrgenommene Umwelt nicht ab, sondern brächte sie selber hervor, erlebe ich diesen Vorgang nicht als ein Geschehen, das ich beeinflussen könnte. Ich erlebe vielmehr mich als in seinen Vollzug irgendwie eingewoben.

2.2.1.4. Körper als Außenwelt

Witzigerweise gehört zu dem Erleben meiner Außenwelt (VAKOG 1), die ich als einen außen und auch außerhalb meines Einflusses ablaufenden Prozess wahrnehme, auch das, was ich meinen Körper nenne. Ich kann meine Hände sehen, meine Atmung hören, meine Zunge fühlen, meinen Schweiß riechen und einen Geschmack von meinem Speichel im Mund haben. Und wenn ich mich auch irgendwie als in diesem Körper wohnend fühle, nehme ich auch diese Bilder, Geräusche etc. meines Körpers als um mich herum wahr, und als einen Prozess und auch als einen solchen Prozess, in den ich irgendwie eingebunden bin, den ich nicht beeinflussen kann.

2.2.2. Innenwelt (VAKOG 2)

Im Gegensatz zur Außenwelt erfahre ich meine Innenwelt als ein Erleben, das sich in mir vollzieht. Aber auch meine Innenwelt besteht aus den Elementen von VAKOG, aus bildhaften, klanglichen, gefühlten, gerochenen und geschmeckten Erinnerungen und Vorstellungen, aus Emotionen und Denkprozessen, in denen neben Folgen von Wortlauten

auch Bilder und Gefühle auftauchen, und wenn es um Essen geht, auch Geruch und Geschmack. Und sie scheinen mir nicht nur intern abzulaufen, sondern auch meinem Einfluss unterworfen zu sein. Meine Erinnerungen kann ich willkürlich aufrufen. Vorstellungen kann ich mir immer machen, wenn ich will, und mein Denken unterliegt auch meinem (kleinen) Willen. Und auch dieses Erleben hat Prozesscharakter.

2.3. Unterscheidungen auf der Ebene des Probanden

2.3.1. Außenwelt und Ich als Körper

Wenn ich jetzt die Erfahrungen des Probanden betrachte, finde ich Folgendes: Auch der Proband macht zumeist, aber nicht immer, eine Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, wie der wissenschaftliche Beobachter sie macht, nämlich die zwischen sich selbst als Körper und der Welt da draußen. Seinen Körper erfährt er dabei als sein „Ich“. Diese so unterschiedenen Gebilde, sowohl die Außenwelt wie auch der Körper des Probanden, sind aber beide nach außen verlagerte Gebilde seiner Wahrnehmung (VAKOG 1), und als solche sind sie Objekte.

2.3.2. Welt und Seele

Allerdings identifizieren nicht alle Menschen ihren Körper als ihr Ich und unterscheiden davon die äußere Welt. Manche Menschen benutzen den Unterschied zwischen Außenwelt (VAKOG 1) und Innenwelt (VAKOG 2) zur Unterscheidung zwischen Welt und Ich. Dabei besteht die Welt für sie in der außen existierenden und sich ereignenden Umwelt und ihrem lebendigen physischen Körper. Ihr Ich erfahren sie als Seele oder Geist, als etwas Internes, das in ihrem Körper wohnt.

2.3.3. Menschlicher Einfluss auf die Wahrnehmung von Außenwelt und Innenwelt

Von besonderer Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen Außenwelt (VAKOG 1) und Innenwelt (VAKOG 2) nicht nur deshalb, weil die Vorgänge, die sie ausmachen, in der Wahrnehmung des Probanden an verschiedenen Orten angesiedelt werden. VAKOG 1 und VAKOG 2 unterscheiden sich auch in dem Einfluss, den Menschen auf sie zu haben meinen. VAKOG 1 wird als dem eigenen Einfluss entzogen erlebt, als Vollzug eines anderen (großen) Willens, als miterlebt. Ihr Erleben als solches können Menschen nicht modifizieren, Gerades nicht in Rundes und Rotes nicht in Blaues visuell umbilden. Da müssten sie schon Werkzeuge und Pinsel in die Hand nehmen.

Dagegen wird VAKOG 2, Vorstellen, Erinnern und Denken als Walten des eigenen (kleinen) Willens erfahren, als eingebildete Macht, (die sie bei näherem Hinsehen auch nicht ist, denn eine Willensfreiheit gibt es nicht).

  1. Was der zweite wissenschaftliche Beobachter beobachtet

Nur VAKOG

Wenn wir jetzt einen zweiten wissenschaftlichen Beobachter einführen, der den ersten wissenschaftlichen Beobachter beim Beobachten des Erkenntnisprozesses des Probanden beobachtet, dann entpuppt sich all das, was der erste wissenschaftliche Beobachter unterscheidet – die Vase, das Licht, das Auge, das Gehirn und sein Neuronengewitter samt den über Worte transportierten Mitteilungen des Probanden über dessen Außenwelt (VAKOG 1) und Innenwelt (VAKOG 2) als VAKOG1, als ein Erleben, das auch der erste wissenschaftliche Beobachter nur unter Zuhilfenahme von Worten mitteilen kann. Dieses

Vorgehen, immer wieder in die nächste Beobachterrolle zu schlüpfen, kann man ewig fortsetzen, aber es zeigt sich schon beim zweiten wissenschaftlichen Beobachter, dass es nur VAKOG gibt und nichts als VAKOG.

In ihrem Buch „Der Baum der Erkenntnis“ bestehen Humberto Maturana und Francisco Varela darauf, dass wir bei der Untersuchung des menschlichen Erkenntnisprozesses zwei mögliche Sichtweisen unterscheiden müssen, wenn wir heil zwischen zwei erkenntnistheoretischen Strudeln hindurchsegeln wollen wie Odysseus zwischen Scylla und Charybdis: zwischen der Gefahr auf der einen Seite, eine Welt von Objekten anzunehmen, die uns informieren, obwohl es keinen Mechanismus gibt, der eine solche Information möglich macht, und der Gefahr der absoluten kognitiven Einsamkeit auf der anderen Seite in der Annahme, dass das Nervensystem in einem völligen Vakuum funktioniert.

Um ihren Standpunkt deutlich zu machen, erfinden Maturana und Varela eine Metapher: „Stellen wir uns jemanden vor – so beginnt diese Metapher, jemanden, „der sein ganzes Leben in einem Unterseeboot verbracht hat, ohne es je zu verlassen, und der in dem Umgang damit ausgebildet wurde. Nun sind wir am Strand und sehen, dass das Unterseeboot sich nähert und sanft an der Oberfläche auftaucht. Über Funk sagen wir dann dem Steuermann: ‚Glückwunsch, du hast alle Riffe vermieden und bist elegant aufgetaucht; du hast das Unterseeboot perfekt manövriert.“ Der Steuermann im Inneren des Bootes ist jedoch erstaunt: ‚Was heißt denn <Riffe> und <Auftauchen>? Alles, was ich getan habe, war, Hebel zu betätigen und Knöpfe zu drehen und bestimmte Relationen zwischen den Anzeigen der Geräte beim Betätigen der Hebel und Knöpfe herzustellen – und zwar in einer vorgeschriebenen Reihenfolge, an die ich gewöhnt bin. Ich habe kein <Manöver> durchgeführt, und was soll das Gerede von einem <Unterseeboot>?“

Maturana und Varela beharren darauf: Wir dürfen die Arbeitsweise des Unterseeboots nicht mit dem verwechseln, was der Beobachter am Strand wahrnimmt. Das ist sicher eine praktische Maxime für den wissenschaftlichen wie auch für den lebenspraktischen Alltag. Aber eine solche Entscheidung schafft die Erkenntnis des zweiten wissenschaftlichen Beobachters nicht aus der Welt: Wir sitzen alle in einem Unterseeboot, ob wir nun Erkennende oder Beobachter des Erkenntnisprozesses sind.

  1. Was wir daraus schließen können

Ein Geschehen

Es gibt nur Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken, und diese von uns sogenannten Sinnestätigkeiten sind Abläufe. Sie geschehen.

Zusammenhang mit neuronaler Aktivität?

Wir wissen nicht, wie dieses Geschehen zustande kommt und wie es mit unserer neuronalen Aktivität zusammenhängt.

Gewahren

Dieses Geschehen ist das, was die die Mystiker Gewahrsein nennen. Ich würde lieber Gewahren sagen, weil in dem Wort deutlich wird, dass dieses Gewahrsein Prozesscharakter hat.

Alles ist eins

Wir können unterscheiden, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Ich und Welt, zwischen ich und du, zwischen dem, was ich sehe und dem, was du hörst, zwischen Himmel und Erde, zwischen dem, was wir erkennen können und dem, was uns verborgen bleibt. Alles ist ein Gewahren, VAKOG, ein Geschehen, in dem alles abläuft, entsteht und vergeht.

Es gibt kein Außen

In diesem Gewahren gibt es kein Außen. Dass es das nicht gibt, hätten wir schon lange wissen können. Denn Träume lehren uns, dass wir uns in einer scheinbar äußeren Welt voller Bilder, Klänge, Empfindungen, Geruchs- und Geschmackseindrücken aufhalten können, ohne dass – wie wir beim Aufwachen wissen – diese „äußere Welt“ existierte. Bisher haben wir daraus geschlossen, dass offensichtlich unser Gehirn seine eigenen Spiele spielen kann, ohne darin von äußeren Reizen abhängig zu sein. Jetzt müssen wir daraus schließen, dass wir offensichtlich als Mitspieler in ein Geschehen eingebunden sind, das seine eigenen Spiele spielt. Und wer immer dieses Geschehen ablaufen lässt – sei es ein Gott, Brahman, das Selbst, das Absolute, Noumenon, die absolute Subjektivität – es ist eine Macht, die uns einbindet und die uns übersteigt.

Keine Objekte

Es gibt in diesem Geschehen keine Objekte. Es gibt keinen Erkennenden und kein Erkanntes, sondern nur das Erkennen, Gewahren. Objekte, Gegenstände bilden wir heraus, wenn wir Elemente von VAKOG1 bündeln. Aus dem Sehen von etwas Grünem und Runden, dem Fühlen von etwas Glattem, und dem Schmecken von etwas beim Reinbeißen Saftigen, Säuerlichen und Frischem, machen wir ein Ding, einen Apfel. Das Sein der Dinge ist ihr Wahrgenommenwerden. Das wussten schon Vorsokratiker.

Kein Ich

In VAKOG intern und VAKOG extern finden wir aber nur die Elemente von VAKOG. Und darin finden wir kein besonderes Leuchten, Klingen, Spüren, Duften oder Munden, das wir als Ich begreifen könnten. Wenn wir uns als ein Ich erleben, dann kann dieses Ich nur dieses Gewahren selbst sein und damit alles Gewahren.

Aber ein Ich bin

Aber auch das kann nicht die ganze Wahrheit sein. Wenn wir dieses Gewahren wären, müssten wir es beeinflussen können. Das Gewahren aber übersteigt uns (und auch unseren Verstand). Ich muss kleiner sein als dieses Gewahren, in das ich eingebunden bin. Zweifellos bin ich, das kann niemand bestreiten und ich kann es nicht bezweifeln. Es gibt ein „Ich bin“. Dazu habe ich bei dem indischen Weisen Nisargadatta Maharaj Folgendes gelernt:

Am Anfang ist der ursprüngliche Zustand (Noumenon), unbedingt, ohne Form und ohne Eigenschaften. Im ursprünglichen Zustand ist das Noumenon sich seiner selbst nicht einmal bewusst. In diesem ursprünglichen Zustand regt sich spontan das Bewusstsein – der Gedanke ‚Ich bin’ – und beginnt zu existieren. Innerhalb des Bewusstseins entsteht die Welt.

Aber innerhalb des Bewusstseins, worin die Welt entsteht, endet der Zustand der Einheit. Das Wesen des Bewusstseins ist Dualität. Um sich selbst wahrzunehmen, vergegenständlicht sich das Noumenon und taucht als Welt der Erscheinungen auf. Dafür sind Raum und Zeit notwendig. In Raum und Zeit dehnen sich die Erscheinungen als Masse und in Dauer aus. Damit sich das Noumenon als Erscheinungen manifestieren kann, ist der Vorgang des Objektivierens nötig, und dieser beruht auf der Trennung in ein Objekt, das wahrnimmt und ein Objekt, das wahrgenommen wird. Wenn sich das unpersönliche Bewusstsein – der Gedanke ‚Ich bin‘ – manifestiert, identifiziert es sich mit jedem fühlenden Objekt. Auf diese

Weise entsteht die Vorstellung eines getrennten, persönlichen, individuellen Ich, das alle anderen Phänomene als seine Objekte behandelt. Jedes fühlende Wesen wird so zum Subjekt gegenüber jedem anderen fühlenden Wesen als seinem Objekt, auch wenn in Wirklichkeit beide Objekte sind, die im Bewusstsein erscheinen. Soweit Nisargadatta Maharaj.

Worüber wir nichts wissen können

Wie immer wir uns vorstellen mögen, wer wir sind und woher wir kommen, wir können es nicht wissen. Wenn wir etwas wissen könnten, wäre es nichts, was uns übersteigt.

Wir sind involviert

Wer immer wir sind, wir können nur Aussagen darüber machen, wie wir uns erleben. Und wir erleben uns involviert in diesen Prozess des Gewahrens, wie immer wir es nennen, als Gottes Schöpfung, den Ablauf der Manifestation oder der Evolution.

Kein Solipsismus

Und in dem, wie wir uns erleben, besteht keine Gefahr des Solipsismus. Ich bin nicht allein. Ich bin eingebunden in den Traum einer höheren Macht. VAKOG1 lässt mich wissen, dass da mehr ist als ich in einem Körper in einer Welt. VAKOG 1 lässt mich wissen, im Traum dieser höheren Macht sind mit mir unendlich viele lebendige Geschöpfe.

Gottes Traum

Die Beobachtung des Beobachters ergibt, dass die Welt nicht vom Beobachter abhängig ist, sondern dass die Schöpfung von einer uns übersteigenden Instanz, oder einem höheren Wesen abhängig sein muss, auf das wir schließen müssen, weil wir VAKOG 1 nicht beeinflussen können, sondern diese Welt miterleben als von uns unabhängige Vorgänge, in die wir involviert sind.

Dieses Geschehen kann man begreifen als Manifestation Gottes oder als Gottes Traum von sich selbst, in dem er sich mit allen lebenden Wesen identifiziert. Wir sind involviert in diesen Traum Gottes von sich selbst. Und wenn wir unser Involviertsein in diesen Traum oder unser Involviertsein in Gewahren beschreiben wollten, könnten wir sagen: Mein Körper ist eine Gestalt in Gottes Traum von sich selbst. Ich bin Gott, der diesen Traum Gottes von sich selbst in dieser Gestalt mitträumt.

Welttheater

Die Welt scheint eine große Bühne zu sein, auf der wir agieren, nicht nach eigenem Gutdünken. Wir spielen eine Rolle in diesem großen Welttheater, in einem Stück, das nicht von uns geschrieben wird, in Kulissen, die wir nicht erfunden und auch nicht aufgebaut haben.

Ausblick

Auch wenn wir aus dem Vorgebrachten meines Erachtens schließen müssen, dass alles ein Gewahren ist, was sollte uns daran hindern, unser Leben in der Welt weiterhin wie der wissenschaftliche Beobachter 1 aufzufassen, mit all seinen schönen und praktischen Unterscheidungen von Subjekt und Objekt, von Materie und Energie, von Naturgesetzen, gesellschaftlichen Normen und unserem kleinen Willen. Das kann man weiterhin tun und zugleich, wenn man will, das eigene Leben am Großen Willen orientieren, glauben, dass wir, nachdem wir unseren Körper abgelegt, die Welt und unser Innenleben hinter uns gelassen haben, zurück kehren zum Größeren Willen, welchen Namen wir auch immer für ihn haben.

von Alexa Mohl

Alexa Mohl